Sandra Megahed, Journalistin

Meine erste Stunde bei Alexander-Technik Coach Nicola Hanefeld

November 2011. Ich stehe vor einer hellblau getünchten Jugendstilvilla im Freiburger Stadtteil Wiehre. Das Gebäude wirkt einladend, ebenso das Foyer, das zum Arbeitsraum von Nicola Hanefeld führt. Sie wird mich heute das erste Mal in Alexander-Technik unterrichten.  Alexander-Technik – der Begriff begegnete mir zwar immer wieder. Nur dachte ich bislang, dies sei nur etwas für Schauspieler oder Musiker. Bis ich bei einer Recherche auf die Website von Nicola Hanefeld stieß. Die Beschreibung klang vielversprechend: Selbstmanagement, Präsentationstraining, Stressprävention – eine Technik, die alles miteinander vereint. Ich wurde neugierig und griff zum Hörer.

Nun sitze ich Nicola Hanefeld gegenüber. Sie strahlt Ruhe aus, spricht langsam, schaut mich interessiert an, hört aufmerksam zu. Alles wirkt stimmig. Dies liegt nicht zuletzt auch an dem  reduziert und gleichzeitig stilvoll eingerichteten Raum. Was mich zur Alexander Technik geführt habe, will sie zunächst wissen. Dann erklärt Nicola Hanefeld „Alexander-Technik ist vor allem ein Selbstmanagement-Training“, „damit ist jedoch nicht zielorientiertes Handeln gemeint wie im Geschäftsleben.“ Es handle sich dabei um eine ganzheitliche Körperarbeit, die unser Körperbewusstsein steigere und uns so eingefahrene Muster - körperlich wie seelisch - vor allem in Stresssituationen vor Augen führe. Klingt logisch und einfach. Aber wie sieht das in der Praxis aus? „Anhand von Bewegungsabläufen, die uns aus dem Alltag vertraut sind: Sich hinsetzen, aufstehen, gehen, laufen, sprechen und liegen, üben wir es, unsere Bewusstheit  zu erhöhen für wie wir uns selbst organisieren und ob wir unsere Selbstmanagement optimieren können“ erklärt sie.

Zunächst lädt sie mich ein, mich auf den „Tisch“ zu legen, wie die Behandlungsliege von den Alexander-Lehrern genannt wird. Tatsächlich liegt man darauf etwas fester, unter meinen Kopf schiebt sie vorsichtig ein in Stoff gehülltes Taschenbuch. Fühlt sich gut an. Alles was ich jetzt selbst tun solle, ist versuchen nicht zu tun, erklärt Nicola Hanefeld. Gar nicht so einfach, wie ich später feststellen werde. Sie beginnt mich langsam und sanft neu auszurichten, vor allem an den Armen, Beinen, am Rücken und Brustkorb. Es sind keine ruckartigen Bewegungen, sondern vielmehr sanfte Impulse. Sie ist präsent, aber doch nehme ich ihre Handlungen, ihre Worte nur ganz dezent wahr. Ich fühle mich entspannter, und bin gleichzeitig erstaunt, als ich merke, dass ich meine Muskulatur unnötig anspanne.

Woher kommt die Alexander-Technik? Wie ist sie entstanden? Um die Wirkungsweise dieser Technik verstehen zu können, erklärt Nicola Hanefeld, sei es wichtig, die Ursprünge zu kennen. Sie macht einen kleinen Exkurs zu Frederick Matthias Alexander, der diese Technik Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte. Seitdem hat sie sich weltweit verbreitet, heute unterrichten etwa 6000 Lehrer nach dieser Methode. Er war ein bekannter Rezitator seiner Zeit, jedoch quälte ihn irgendwann eine extreme Heiserkeit, die bis hin zum Stimmverlust auf der Bühne führte. Die Ärzte waren ratlos. So begann er selbst die Ursachen zu erforschen. Während er sich beim Rezitieren von allen Seiten in drei Spiegeln beobachtete, kam er zu einer zu einer überraschenden Erkenntnis: Er hatte keine Stimmprobleme, wenn er ganz normal sprach. Rezitierte er jedoch, wie er es auf der Bühne tat, blieb ihm immer wieder die Stimme weg. Er entdeckte an sich ein bestimmtes körperliches Muster mit seiner Rezitatorstimme. Sein Hals spannte er an, der Kopf zog er nach hinten und unten und sein Rumpf verkürzte sich, während er die Schultern anhob. Dieses Spannungsmuster erkannte er als Ursache für sein Problem. Er nahm sich vor, diese Anspannung zu vermeiden, also „nicht zu tun“ - genauso wie mich Nicola Hanefeld gerade eben aufgefordert hatte – doch das Spannungsmuster lief bei Alexander wieder und wieder ab – ob er es wollte oder nicht.

„Bei der Alexander-Technik geht es genau darum, sich dieser hoch automatisierten Spannungsmuster im Alltag gewahr zu werden, die wir unbewusst ausführen“, unterstreicht Nicola Hanefeld. Sie fasst mich sanft am Kopf, hebt ihn leicht an und bewegt ihn langsam nach links und nach rechts. Dann legt sie ihn vorsichtig wieder ab. Es fühlt sich jetzt anders an. Mein Hals

ist jetzt leicht gestreckt und weniger gestaucht als vorher. Langsam weicht die Anspannung in meinem Körper. Irgendwie empfinde ich mich als länger und geweitet, vor allem im Rücken und Brustkorb. Der Atem fließt wieder wie von alleine.

Doch wie ging es mit Alexander weiter? Wie bekam er wieder seine Stimme zurück? Er arbeitete und forschte weiter, bis er eine Methode fand, die Anspannungsmuster in seinem Körper loszuwerden. Der Schlüssel war schließlich die Absicht, etwas nicht zu tun. Denn wenn er auf den Reiz zu sprechen, nicht reagierte und seine Absicht zu sprechen (etwas zu tun) losließ, und es verband mit bestimmte bewusste Gedanken, konnte er ungestört und frei sprechen. „So hörte er allmählich auf, seinen Hals anzuspannen und seinen Kopf nach hinten zu ziehen. Die Absicht zu sprechen unterbinden und gleichzeitig seinen Hals freilassen, dass war die Lösung des Problems'“, erklärt Nicola Hanefeld. Dadurch entwickelte er die bewussten Anweisungen an sich selbst, der Kopf-Hals-Rücken System  „frei zu denken“, ergänzt Hanefeld. Diese Erkenntnis wurde zum Kerngedanken der Alexander-Technik und ist es immer noch.

„Ich lasse meinen Hals frei, damit mein Kopf vorwärts nach oben gehen kann, damit meine Schultern sich weiten können und damit meine Wirbelsäule sich längern kann und mein Rücken sich weiten kann.“ 

Nicola Hanefeld wiederholt diesen Satz mehrmals in dieser Sitzung. Damit können wir diese automatisierten Muster etwas deaktivieren, erklärt sie. So hören wir auf den Hals anspannen, die Schultern zusammenziehen, den Rücken und den Rumpf verkürzen. „Das Kopf-Hals-Rücken- System wird in seiner Qualität verbessert: Wir fühlen uns freier, gelöster, natürlicher, beweglicher und schmerzfrei“, sagt Nicola Hanefeld.

Die 20 Minuten auf dem Tisch waren eine Wohltat. Nicola Hanefeld erinnert mich wieder daran, nicht zu tun. Sie hebt meinen Oberkörper an, zieht meine Beine sanft nach unten. Mühelos gleite ich vom Tisch auf den Boden und stehe. Es ist ein anderes Stehen, mein Körperschwerpunkt scheint sich nach hinten verlagert zu haben. Ich empfinde mich jetzt als größer, fühle mich wach und entspannt.

Nicola Hanefeld holt einen Stein, legt ihn mir in die Hände und lässt mich sein Gewicht schätzen. Er kommt mir schwer vor, etwa zwei Kilogramm. Ich lag recht gut, erfahre ich von ihr, der Stein wiegt 2,5 Kilogramm. Jetzt geht es um meinen Kopf. Wie viel dieser wohl wiege? „Ungefähr fünf Kilogramm“, erklärt sie mir. Optimal ist es wenn diese Gewicht oben auf der Wirbelsäule balanciert, statt gehalten zu werden. Dies ist nur möglich, wenn wir unseren Hals frei lassen. „Gerade bei Rückenbeschwerden ist es wichtig, dass wir uns auf unser Rücken-Hals-Kopf-System besinnen, statt nur lokal Schmerzen zu behandeln“, sagt Nicola Hanelfeld. Finde ich einleuchtend: die Ursache statt nur das Symptom beheben zu wollen.

Wir bewegen uns zum Hocker. Ich bin gespannt, ob dieser Teil ebenso angenehm wird wie die Arbeit auf dem Tisch. Ihre Hand unterstützt meine Bewegungen sanft beim Hinsetzen und Wiederaufstehen durch Berührungen am Hals, Kopf und Brustkorb. Immer wieder halten wir inne, damit ich mich meiner Kopf-Hals-Rücken Beziehung bewusst werden kann und an die Anweisungen denken kann. Ihre behutsamen Impulse leiten mich an, sie macht mich auf meine Bewegungsmuster aufmerksam:

Spanne Deinen Rücken nicht an beim Aufstehen!

Lasse Deinen Rücken lang, wenn Du aufstehst!

Stehe bewusst mit Deinen Beinen auf!

Ziehe Deinen unteren Rücken nicht ein beim Aufstehen!

Versuche, freier und tiefer zu atmen!

„Sich hinsetzen und aufstehen ist eine Aktivität, die wir mehrere Hundert Mal pro Woche ausführen, allerdings unbewusst“, erklärt Alexander-Coach Hanefeld. Diese alltägliche Handlung eigne sich sehr gut, um unsere Selbstwahrnehmung auf der körperlichen Ebene zu erhöhen. „Wir hören auf, etwas Ungünstiges mit uns selbst zu tun, zum Beispiel unnötig bestimmte Regionen anzuspannen“, sagt sie. Ich bin erstaunt über dieser Erkenntnis: Warum war mir das zuvor nie aufgefallen? 

Etwas befremdlich ist es schon im ersten Augenblick, Alltagsbewegungen wie Sitzen, Aufstehen, Stehen neu einzuüben. Doch andererseits empfinde ich das Hinsetzen und Aufstehen als angenehm und leicht. Meine neue körperliche Ausrichtung fühlt sich ungewohnt an. Sitze ich gerade oder zusammengesackt? Ich bin überrascht, als ich in den Spiegel schaue. Ich sitze ganz aufrecht, aber locker, ohne mich muskulär anzuspannen. Nicola Hanefeld lacht, als sie meine erstaunte Reaktion sieht. „Wir haben alle eine unzuverlässige kinaesthetische Selbstwahrnehmung“, erklärt sie, „ Alexander-Coaching hilft uns dabei, wieder ein echtes Gefühl dafür zu bekommen.“

Laufen – ist die letzte Übungssequenz in dieser Stunde. Auch hier werde ich von Nicola Hanefeld geführt und gleichzeitig auf meine Reaktionsmuster aufmerksam gemacht. Schon zu Beginn stoppt sie mich in meinem Reiz, mich nach vorne gebeugt rasch loszulaufen. „Innehalten“, erinnert sie mich. Ich verstehe: „Hals frei, Kopf nach vorne nach oben und den Rücken lang und weit denken…“. Das Gehen hat jetzt eine andere Qualität, es ist müheloser. Ich fühle mich wie auf Schienen.

Wir lassen die Stunde sitzend ausklingen. Es ist still. Kein Drang, etwas tun oder sagen zu müssen. Wir schauen uns an. Wie ich mich fühle, möchte Nicola Hanefeld wissen. Ich spüre nach. Alles fühlt sich gelöst und entspannt an. Ich beginne zu sprechen. Meine Stimme klingt kraftvoll und weich zugleich. Das Erlebte und mein Befinden in Worte zu fassen, fällt mir nicht leicht. Ich weiß nur eins: Es fühlt sich richtig an und ich werde wiederkommen. 

*Technique auf Englisch bedeutet „Geschicklichkeit“ oder „Fertigkeit“. Der deutsche Begriff „Technik“ gibt jedoch gibt dies nicht optimal wieder. Es gibt jedoch keine sprachliche Alternative, da sich dieser Begriff seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts durchgesetzt hat.

Just as you have the impulse to do something, stop.

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